„Iwan oder die Stadt heißt immer noch
Wien“
Wien nach dem Krieg. Die so genannte Stunde 0.
Iwan wird kurz nach dieser Stunde geboren. Er verlebt seine früheste
Kindheit in der Wiener Domgasse hinter dem Stephansdom. Ohne Vater,
mit einer Mutter, die den Überlebenskampf angenommen hat und die
Hoffnung auf eine Wiederkehr ihres Mannes hegt.
Auf der Handlungsebene begleiten die
LeserInnen den Ich-Erzähler auf einem Spaziergang durch die Domgasse
auf der Suche nach seiner frühesten Kindheit. Begleitet wird er von
den Briefen seiner Mutter an den Vater. Die bilden den Leitfaden der
Geschichte. Die Nicht-Beziehung zum Vater rückt dabei in den
Vordergrund, ebenso wie die problematische Beziehung zwischen Mutter
und Sohn. Der Ich-Erzähler sucht neben seiner Vergangenheit auch
Erklärungsmodelle für sein eigenes Ich, für seine Identität, für sein
Sein.
Auf
einer zweiten Ebene ist „Iwan oder die Stadt heißt immer
noch Wien“ eine Auseinandersetzung mit den Themen
Erinnerung, Sprache und Identität. Der Ich-Erzähler
vermischt persönliche Erfahrungen und Erlebnisse mit
sekundären, angelesenen Erlebnissen und
wissenschaftlichen Erkenntnissen. Zudem referiert er
allgemeine historisch passende Daten und verbindet so
die persönliche individuelle Geschichte mit der
Zeitgeschichte.
Die von Peter Miniböck benutzte Technik ist
mehr als interessant. Er webt verschiedene Textsorten ineinander. Den
Rahmen bilden die Briefe seiner Mutter; dieser wird gefüllt mit der
eigentlichen Geschichte, die wiederum von Zitaten aus verschiedensten
Quellen (Villém Flusser, Der dritte Mann, Fernando Pessoa) scheinbar
unterbrochen wird. Die Zitate sind Knoten, die das Gefüge zusammen
halten. Verweise auf die Zeitgeschichte werden mit den persönlichen
„Erinnerungen“ zu einem Text verwoben.
Es liegt im Ermessen der LeserInnnen einen
realistischen/autobiographischen Maßstab an dieses Werk
zu legen. Diese Lesart ist nicht wichtig für den Text.
Es handelt sich schließlich um ein poetisches Werk, das
kunstvoll das Spiel mit Erinnerung und Literatur begeht.
Thierry Elsen/webcritics.de
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