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Rezension

 

Was ist ES? "Peter Miniböcks "Eigenart der Ereignisse“

Neil Y. Tresher

Nach dem ersten Aufschlagen des Buches setzt Verblüffung ein. 40 Ereignisse oder Vorgänge, die der Autor auf 170 Seiten konzentriert, stellen in ihrer Komprimiertheit eine spannende Herausforderung dar. Auch wenn der Titel und die Vielzahl an Thomas Bernhards „Ereignisse“ denken lassen, so sind Peter Miniböcks 40 Ereignisse alles andere als in sich geschlossene Miniaturen, die jede für sich einzeln stehen könnte. Der Autor präsentiert uns eigentlich einen (Schreib)Prozess, der immer wieder unterbrochen wird. Darüber hinaus werden wir mit einem „lyrischen Ich“ konfrontiert, das den Prozess in 40 Ereignisse segmentiert. Diese „schreibenden Ereignisse“ entwickeln sich bei der Lektüre. Es gilt das Schreiben „nach“zudenken und die Vorgänge, das Suchen, das Ertasten, das Stottern, das Schweigen, das Für und Wider im Schreiben „nach“ zu vollziehen. Miniböck kreiert eine Stand-Ort-Bestimmung des eigenen Seins im offenen Vollzug der Sprache. Nichts ist (in sich) abgeschlossen.

„Die Eigenart der Ereignisse“ ist im wahrsten Sinne des Wortes ein postmoderner Fehdehandschuh, den es gilt aufzuheben und zu parieren. Etwaige Erwartungshaltungen an klassische Erzählsituationen oder gar Unterhaltungsliteratur werden enttäuscht. Der/die Leser*in ist aus mehreren Gründen gefordert, sich den Text aktiv zu erkämpfen. Miniböck schöpft aus dem Vollen und präsentiert den alles erschöpfenden Akt des Schreibens. Er verwendet die klassischen Stilmittel der postmodernen Schreibweise (was für ein Widerspruch: klassisch-postmodern und doch treffend): Das Zitat, den Bruch, das Paradox, die These und die Antithese. Die Figur des Ich-Erzählers ist einmal der Faust'sche Heinrich ein andermal ein „Hey Joe“. Und das Ganze gewürzt mit dem Horrorklassiker „Shining“.

Diese Techniken sind nicht neu in Peter Miniböcks Werk. Das Einweben von Zitaten und die damit verbundene postmoderne Schreibweise kennen wir schon seit „Iwan – oder die Stadt heißt immer noch Wien.“. Genau wie in „Iwan“ verbindet der Autor auch hier drei Ebenen, die zur besseren Orientierung der Leser*innen typografisch abgesetzt sind. Die eigentliche Erzählung besteht aus einer Serifenschrift und die eingewobenen Zitate werden in der gleichen Schrift kursiv dargestellt. Der Rahmen ist in einer Arial-Schrift abgedruckt. So entsteht eine Polyphonie. Der Ich-Erzähler wechselt sich hinter verschiedenen Masken (Heinrich und Joe) mit dem Ich der angeführten und ausgewiesenen Zitate ab. Diese verschiedenen Ich-Erzähler-Situationen werden vom Autor, via direkter textlicher Intervention, zueinander in Beziehung gesetzt.

Die eingeflochtenen Zitate beziehen durch das Wechselspiel mit den verschiedenen anderen Textebenen ihre Spannung. Einige stammen etwa von Albert Camus und Franz Kafka, andere aus der Bibel oder dem Urfaust, aus Gebrauchstexten und Filmen wie Blade Runner. Camus und die Bibel in einem Text unterzubringen ist an und für sich eine reife Leistung. Es geht Miniböck jedoch nicht nur darum, die Zitate als eine Art ready-mades oder objets trouvés im Sinne von Marcel Duchamp zu verwenden. Die Zitate zeigen deutlich über den Text hinaus. An manchen Stellen sind sie zentral, an anderen nebensächlich. Sie eröffnen das Spielfeld und engen es wieder ein. Neben den Zitaten verfügt der Text über kompositorische Merkmale, wie sie aus der Musik bekannt sind. Dasselbe Thema wird immer wieder gespielt und variiert. Das dominante Thema besteht in der Frage „Was ist Es?“. Weitere Themen sind die „Jurte“ oder „das steinerne Rad.“ Sie sind Leitmotive und Metaphern zugleich.

Wenn der/die Leser/in einmal erkannt hat, dass der rote Faden durch diese wiederkehrenden Themen gesponnen wird, steht dem Lesevergnügen nichts mehr im Weg.

 

 

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