„Iwan oder die Stadt heißt immer noch
Wien“
Von Rudolf Kraus am 27.06.2006 aus Buchkritik.at
„Ich hatte ein Engel zu sein. Kein Stein. Und weinte dennoch oft.
Engel weinen nicht; Tränen sind nur die sichtbaren Zeichen einer
inneren Gefangenschaft, eines ungelösten Konflikts.“ Diese und viele
andere Gedanken trägt der Ich-Erzähler in sich, als er durch die
Innere Stadt Wiens spaziert, vor allem durch die Domgasse beim
Stephansdom, wo er als Kind gewohnt hatte. In behutsamer und ruhiger
Form erzählt der österreichische Schriftsteller Peter Miniböck die
Geschichte von Iwan, der im Wien der Nachkriegsjahre ohne Vater
aufwächst. Kein Einzelfall in dieser Zeit, aber dennoch ein
Einzelschicksal. Der nicht vorhandene Vater wiegt für Iwan stärker als
jede körperliche Entbehrung, die in den ersten Jahren nach dem Krieg
Alltag war. Der Eindruck, dass es sich hier um eine autobiographische
Geschichte handeln könnte, wirkt nahezu augenscheinlich (und könnte
demnach reine Fiktion sein). Die Mutter schreibt berührende Briefe
an den abwesenden Vater, in der anfänglichen Hoffnung, dass er
irgendwann in der Türe stehen würde. Neben den Erinnerungen des Sohnes
und Ich-Erzählers stehen Gegenwartbetrachtungen, Zitate sowie
Presseinformationen aus der Nachkriegszeit in einem dichten
mannigfaltigen Wechselspiel. Peter Miniböck versteht es in gekonnter
Manier die ganz leisen Töne hörbar zu machen. Durchgehend überzeugt
dieser Text in all seiner Vielfalt: leise, feinfühlig, poetisch und
mit Bedacht erzählt: „Draußen sollte ich sein. In den
Wäldern. Und mit den Bäumen reden. Die auf jeden warten.“ Also nehmen Sie sich
die Zeit, dieses Buch zu lesen. Es wirkt langsam aber nachhaltig.
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