"Iwan oder die Stadt heißt immer
noch Wien"
Ich sollte aus dieser Gasse verschwinden.
Ich sollte mich endlich davonmachen und zu meinem jetzigen LEBEN
zurückkehren. Doch ich handle wie ein Dieb, der Dinge an sich genommen
hat, die ihm nicht gehören, die ihm nicht zustehen. Ich bin hier und
meine Erinnerungen SIND mein jetziges Leben. Ein Flüchtling – jeder
Geflohene! – lebt im fremden Land und gleichzeitig an jenem Ort, von
dem er aufgebrochen ist. Er lebt demnach an beiden Orten gleichzeitig.
Immer. Er vermag sich von diesem Zustand nicht zu lösen. Allmählich
werden wir zu mutlosen Emigranten, die ins Erwachsensein flüchten. Und
der Staub unserer Erinnerungen, dieser von uns selbst errichteten
Nekropole, liegt unter unseren Füßen. Hat man einmal den ersten
Schritt auf den Boden der Vergangenheit gesetzt, beginnt alles sich zu
drehen, die Umgebung wird schwammig, diffus; nichts mehr, was genau zu
erkennen wäre: Man hat den Boden unter den Füßen verloren. So angenehm
und beängstigend zugleich dieser Zustand ist, wir bleiben nicht
unbeschadet dabei: Eine wohltuende Melancholie – damit verwechseln wir
unsere Sentimentalität – ergreift von uns Besitz und wir lassen uns,
wie betäubt, in den Sumpf unserer Historie, vor der wir uns nun nicht
mehr zu schützen imstande sind, hineinziehen. Doch auch die Metawelt
funktioniert nicht, wenn man sie lediglich aus Erinnerungen speist.
Was also tun? Wo beginnen? Alles ist geschehen, so oder so. Alles ist
gesagt worden, mehr oder weniger. Wir können nichts ändern. Nichts
mehr. Nicht mehr. Dennoch glauben wir an den Fundus unserer
Vergangenheit, klammern uns an ihn, bis er sich vor unseren Augen
aufzulösen beginnt. Wir haben vielleicht noch einiges im Köcher: Orte,
Namen eventuell. Augenblicke ganz selten.
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